25.01.2022Leben & Arbeiten

Diversity Management – auch in Start-Ups ein Thema?

Foto: bytabo®

Der demographische Wandel, mehr Menschen mit internationaler Geschichte, sich verändernde Lebensstile und ein wachsender Anteil erwerbstätiger Frauen. Diversität wird immer mehr zum Thema, auch für Unternehmen. Um die Vielfalt ihrer Mitarbeiter*innen als Chance zu nutzen, betreiben Unternehmen zunehmend Diversity Management. Was es damit auf sich hat und wie ein junges Technologieunternehmen aus Bamberg das Thema aufgreift, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

In Deutschland mit seinen rund 83 Millionen Einwohner*innen hat statistisch gesehen knapp jeder vierte Mensch eine Migrationsgeschichte, jeder zehnte eine schwere Behinderung und jeder dreizehnte Mensch bezeichnet sich selbst als Teil der LGBTQI+-Community; eine diverse Gesellschaft also. Die Frage ist nur: Lassen sich auch in Organisationen und Unternehmen diese diversen gesellschaftlichen und kulturellen Biografien finden? Und wie gehen Unternehmen mit dieser Vielfalt um?

Wie mit Vielfalt umgehen?Wie mit Vielfalt umgehen?Ein Konzept, das die Vielfalt aller Menschen anerkennt, ist Diversity. Diversity fordert die bewusste Auseinandersetzung mit Vielfalt und ist kein „nice to have“, sondern u.a. im deutschen Grundgesetz sowie in der UN-Menschenrechtskonvention verankert. In Deutschland beispielsweise gilt auf Bundesebene seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dessen Ziel es ist, rassistische Diskriminierungen oder Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Doch neben einzuhaltenden Gesetzen gibt es auch Ansätze, um proaktiv die eigene Vielfalt im Unternehmen zu fördern, und zwar das Diversity Management.
 

Was bedeutet Diversity Management?

Diversity Management ist ein ganzheitliches Managementkonzept, das auf die Anerkennung und Wertschätzung aller Mitarbeiter*innen ausgerichtet ist – unabhängig von Persönlichkeitsmerkmalen, Lebensstilen oder -entwürfen. In der Vergangenheit wurde Diversity Management vor allem eingesetzt, um Diskriminierung in der Arbeitswelt entgegenzuwirken und gleiche Chancen zu ermöglichen.

Inzwischen ist es zu einem Instrument geworden, welches die unterschiedlichen Eigenschaften, Hintergründe und Erfahrungen der Mitarbeiter*innen betont und sie zum Nutzen für das Unternehmen praktisch einsetzt. Es umfasst Strategien und Maßnahmen, die Vielfalt in der Organisation fördern und gestalten. Aktuell setzen allerdings nur ein Drittel der deutschen Unternehmen Diversity Maßnahmen um.

Vielfalt – Viele Vorteile

Insbesondere Großunternehmen nutzen Diversity Management inzwischen als strategisches Instrument, um beispielsweise neue Rekrutierungspotenziale, wie das Anwerben von Talenten aus verschiedensten Regionen der Welt, zu erschließen oder bisher unterrepräsentierten Gruppen den Karriereweg in höhere Führungspositionen zu ermöglichen. Auch der Gewinn von neuen Perspektiven und Lösungsansätzen für Produkte und Dienstleistungen gehört zu einem der betriebswirtschaftlichen Vorteile von Diversity Management. Dabei muss es sich nicht nur auf die HR-Abteilung beschränken. Auch inklusive Marketingkampagnen, interkulturelle Trainings oder unternehmensinterne Netzwerke können Teil eines Diversity Managements sein.

Auch in Bezug auf die Mitarbeiterzufriedenheit kann sich Diversity Management positiv auswirken. Eine Förderung von Toleranz im Unternehmen, aber beispielsweise auch eine größere Repräsentanz von LGBTQI+ Personen sorgt dafür, dass sich Mitarbeiter*innen wertgeschätzt fühlen und sie ihre Talente uneingeschränkt einsetzen können. Es erhöht nicht nur die Zufriedenheit und Loyalität, sondern letztlich auch die Leistungsfähigkeit von Führungskräften und Mitarbeiter*innen. Dass mehr Diversität in Unternehmen die Wahrscheinlichkeit erhöht, überdurchschnittlich profitabel zu sein, wurde inzwischen auch wissenschaftlich nachgewiesen.

Betreiben auch Start-Ups Diversity Management?

Im Vergleich zu Großunternehmen, die meist die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen für Vor allem Tech Start-Ups stehen häufig wegen mangelnder Diversität in der Kritik. (Foto: Fatos Bytyqi)Vor allem Tech Start-Ups stehen häufig wegen mangelnder Diversität in der Kritik. (Foto: Fatos Bytyqi)Diversity-Maßnahmen besitzen, sieht es bei kleinen und mittleren Unternehmen meist anders aus: Hier fehlt es häufig an Zeit und geeigneten Strategien, um ein langfristiges Diversity Management einzuführen. Auch für Start-Ups stellt sich die Frage: Wie macht man den ersten Schritt, wenn man einfach nur darum kämpft, den nächsten Meilenstein zu erreichen?

Um mehr darüber zu erfahren, wie Start-Ups das Thema Diversity angehen, haben wir mit bytabo® gesprochen. Ein Technologieunternehmen, das 2015 in Bamberg gegründet wurde, seine Start-Up-Mentalität jedoch trotz des schnellen Wachstums in den letzten Jahren aufrechterhalten hat. Insbesondere die Techbranche sieht sich häufiger mit dem Vorwurf behaftet, wenig divers zu sein. Im Jahr 2020 lag beispielsweise der Frauenanteil in dieser Branche nur bei knapp 17 Prozent. Bei bytabo® sind es 43 Prozent (Stand Dez. 2021). Ein Anzeichen von Diversity Management? Wir fragen Christian Schieber, Co-Founder und CEO Technology von bytabo®:

start.land.flow:Ist Diversity bei euch im Unternehmen ein Thema und wenn ja, wie macht es sich bemerkbar?

Christian Schieber: Auf jeden Fall ist Diversity ein wichtiges Thema. Ich glaube aber, dass wir wie alle Unternehmen noch viel dazulernen müssen, um es auch richtig zu verstehen. „Ok, wir fördern Frauen“ ist schnell gesagt, aber ist man dann schon divers? – wahrscheinlich nicht. Man muss schon wirklich verstanden haben, um was es eigentlich geht.

Wir haben das Thema auch in unseren Culture Guide integriert. Darin geht es um Geschlechter, aber auch um Sexualitäten, politische Interessen, Hautfarben und so weiter. Wir behandeln uns alle gleich und schließen niemanden aufgrund irgendwelcher Merkmale aus.

Ansonsten ist das Thema Feminismus gerade ein großes Thema bei uns. Wir überlegen zum Beispiel Start-Ups explizit mit Frauen auszugründen. Da ist viel Potential und Gründungen mit Gründerinnen funktionieren ohnehin besser als mit Gründern. Wir thematisieren das Thema vor allem auch zwischen Frauen. Häufig stoßen sich diese gegenseitig weg, aus Angst ihre Macht zu verlieren - Stichwort “Bienenkönigin”. Über solche Themen sprechen wir sehr offen, um uns gegenseitig zu helfen und noch besser zu machen.

Dann gibt es noch einen neuen Außenstandort in Lissabon. Dort haben wir portugiesische Entwickler und jetzt auch ein neues Crewmitglied aus Brasilien ebenso wie Praktikant*innen. In Lissabon trifft sich die ganze Welt. Außerdem sind durch “Freund statt Fremd” (Anm. der Redaktion: Freund statt fremd e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der geflüchteten Menschen nach ihrer Ankunft in Bamberg und Umgebung hilft, sich zurechtzufinden und zu integrieren) Flüchtlingspraktikant*innen auf uns aufmerksam geworden und konnten bei uns IT-Kenntnisse erlernen.

start.land.flow:Eine Rückfrage zum Culture Guide: Was genau ist das und wie wird er kommuniziert bei euch?

Christian:  Der Culture Guide ist ein Instrument, in welchem all unsere Werte und unsere Unternehmenskultur Wie steht es um die Verankerung von Diversity in Start-Ups? (Foto: Brittani Burns)Wie steht es um die Verankerung von Diversity in Start-Ups? (Foto: Brittani Burns)zu finden sind. Er beschreibt genau, wie wir miteinander umgehen und unsere Kultur leben. Er ist gemeinsam mit unseren Mitarbeiter*innen entstanden. Jedes Crewmitglied kann ihn auch verändern oder eigene Veränderung vorschlagen. Das Vorbild dazu ist der Netflix Culture Guide.

start.land.flow: Wann und warum habt ihr euch denn das erste Mal Gedanken um Diversity innerhalb von bytabo® gemacht?

Christian: Als ich das Netflix-Buch gelesen habe, ist mir die Idee zum Culture Guide gekommen. Netflix hat gar nichts über Diversity im Culture Guide stehen, aber ich dachte mir: „Was ist denn noch für uns wichtig?“. Das war so vor eineinhalb Jahren, als wir uns als Gründer selbst hinterfragt und gemerkt haben: „Ja, wir haben zwar Frauen bei uns, aber wenn sie jetzt auf einmal krasser sind als wir, würde es uns vielleicht doch stören“. Das war eine Art Bewusstseinsknick und wir haben gemerkt, wir müssen da etwas ändern. Man sagt zwar immer schnell „Das ist jetzt aber wichtig“, aber es dann wirklich anzugehen, wirklich mal in sich zu gehen und sich selbst zu hinterfragen… Wir (Anm. der Redaktion: Niklas Volland und ich) sind ja als weiße Cis-Männer aufgewachsen und so erzogen worden und diesen Bias müssen wir irgendwie wieder wegbekommen.

start.land.flow:Besonders in der Tech-Branche ist es ja wichtig, darauf zu achten, dass sich keine unconcious biases (z.B. Stereotype oder unbewusste Voreingenommenheit) in Algorithmen wiederfinden. Wie geht ihr damit um, dass euer Team solche unconcious biases haben könnte?

Christian: Zum einen musst du das als Gründer oder Gründerin vorleben, dann lernen schon ganz viele mit. Mitarbeiter*innen orientieren sich vorwiegend an den Gründern, dafür sind sie ja auch da. Zum anderen glaube ich, dass wir das wie fast alle Menschen noch in uns haben. Wichtig ist, darüber zu sprechen und sich gegenseitig aufmerksam zu machen. Ich glaube, man sagt zum Beispiel oft „die Person aus Kultur XY ist nicht zuverlässig“, dabei kennt man vielleicht fünf Menschen aus einer anderen Kultur, die unzuverlässig sind. Schubladen-Denken muss einfach ausgeschaltet werden. Also: einfach darüber sprechen oder gezielt in den Dialog gehen, dann hinterfragt sich auch irgendwann jeder selbst. Ich glaube, das ist ein Prozess, der ganz lang dauert und wiederholt werden muss.

start.land.flow: Habt ihr auch im Bereich HR, jetzt, da ihr so schnell gewachsen seid, darauf geachtet, euch divers aufzustellen? Oder habt ihr ausschließlich auf die Qualifikationen geschaut und die Person genommen, die am besten qualifiziert war?

Christian: So divers sind wir, glaube ich, noch gar nicht. Wir haben halt Frauen und Männer (lacht). Aber wir stellen schon nach Qualifikation ein. Da bin ich aber auch gerade an einem Punkt, an dem ich noch keine Meinung habe. Ich bin ein Fan davon, nach Qualifikation einzustellen. Es bewerben sich aber aus dem Dunstkreis Bamberg natürlich, und vor allem im Tech-Umfeld, mehr deutsche Männer. Da müssen wir dann darüber sprechen und sagen: „Hey, da müssen wir auch noch lernen und in einen Austausch gehen“.

start.land.flow: Ich habe auf eurer Website gesehen, dass ihr in Portugal eine Person als „Cultural Manager“ eingestellt habt. Was hat es damit auf sich?

Christian: Ja, die Anna, sie kommt eigentlich aus Österreich und ist schon seit vielen Jahren in Lissabon. Bei ihrem Job geht es darum, dass die Teams gut zusammenwachsen können und wir kein Team zweiter Klasse aufbauen, weil wir ein anderes Gehaltsgefüge haben. Sie kann perfekt Deutsch, Portugiesisch und Englisch. Natürlich sprechen wir in Portugal Englisch, aber man berät sich dann in den jeweiligen Muttersprachen nochmal.

Außerdem sorgen wir dafür, dass zum Beispiel Eryck, unser Entwickler in Portugal, auch mal nach Bamberg kommt. So mischt man die Leute zusammen und sie lernen sich und ihre unterschiedlichen Arbeits- bzw- Denkweisen kennen. Außerdem zeigen sie uns Lissabon – wir zeigen ihnen Bamberg!

start.land.flow: Vielen Dank für das Interview!

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