09.11.2021Startups

„Wenn wir etwas wirklich wollen, dann ziehen wir das eben durch“

Eigentlich waren Antonia Schmidt, Natalie Kuhrt, Tanja Wiemer und Yasmin Burkhardtsmaier nur Kommilitoninnen im Bachelor Medienwissenschaft und Medienpraxis der Uni Bayreuth. Als das Ende des Studiums immer näher rückt, sind sich die vier in zwei Sachen einig: Sie wollen unbedingt in die Spielentwicklung und am liebsten nicht in einen Großkonzern. Im Herbst 2020 gründen sie deshalb NightinGames, werden neben Freundinnen auch zu Kolleginnen und arbeiten gerade als unabhängiges Studio an ihrem ersten kommerziellen Spiel.

Anders als der Masterstudiengang Computerspielwissenschaften der Uni Bayreuth ist ihr Bachelorstudiengang gar nicht zwingend auf die Spielebranche ausgerichtet: Medienwissenschaft und Medienpraxis bereitet auf ein breites Feld vor, allen voran für den audiovisuellen Bereich. Durch das große Angebot an übergreifenden Kursen ist es wichtig, aktiv einen eigenen Fokus zu setzen: „sonst kommt man als Allrounder aus dem Studiengang“, sagt Tanja. Dass es schließlich Computerspiele wurden, war gar nicht von Anfang an klar – sowohl Tanja als auch Natalie starteten den Bachelor mit dem festen Plan, später in der Filmindustrie zu arbeiten. Durch die Grundlagen der Programmierung müssen allerdings alle Bachelorstudierenden durch, inklusive eigenem Spielentwicklungsprojekt. Noch bevor die vier Studentinnen aber im Rahmen der Uni gemeinsame Projekte auf die Beine stellen, entwickeln sie bereits privat ein erstes gemeinsames Spielkonzept namens Insomnia, ein First-Person-Abenteuer in der Antike.

Im Verlauf ihres Studiums spezialisiert sich alle Mitglieder des heutigen Entwicklerinnenteams auf Computerspiele, entwickeln sowohl in Uniprojekten als auch nebenher immer mehr Spiele – teilweise sogar als Soloprojekte. Antonia und Tanja, die zu diesem Zeitpunkt schon in höheren Semestern studieren, wissen schnell, dass diese Zusammenarbeit auch Potenzial für die Zeit nach dem Abschluss hat. Als das Team seine Idee für Insomnia im Oktober 2020 beim FilmFernsehFonds Bayern einreichen will, ist eine offizielle Gründung Förderbedingung und die Entscheidung für den Schritt liegt auf der Hand. Mit der Förderung klappt es letztlich nicht, aber das Studio bleibt.

„Am Anfang war das alles ziemlich chaotisch“

Als NightinGames vom studentischen Projekt zur Unternehmergesellschaft wird, ist das für die Gründerinnen am Anfang vor allem eins: ganz schön viel Stress. Teilweise noch voll im Studium eingebunden und mit wenig Vorwissen über Rechtsformen und Formalitäten sind sie für die Unterstützung durch andere Bayreuther Entwicklerstudios dankbar: „Ohne den intensiven Austausch und die helfenden Hände hätte es nicht funktioniert“. Weil Natalie noch die meisten Semester vor sich hat, beteiligen sich zunächst nur Antonia, Tanja und Yasmin als Gesellschafterinnen.

Mit dem Schritt in die Selbständigkeit wird auch die Rollenverteilung im Team klarer. Antonia übernimmt als CEO die Finanzplanung und ist bei der Entwicklung als 2D und 3D Art Designerin involviert. Yasmin unterstützt Antonia als COO und ist bei der Programmierung für alles von den Spielmechaniken bis zur Implementierung in die Game Engine zuständig, macht aktuell aber auch das Sound Design. CDO und Creative Director Tanja organisiert die Spieleprojekte und ist im Game- und Leveldesign tätig, während Natalie als erste inoffizielle Mitarbeiterin vor allen in den Bereichen 2D-Art und UI Design unterwegs ist.

Von Kühen, Pixeln und Pompeij

Gerade vor dem Hintergrund des jungen Studios und der jungen Entwicklerinnen beeindruckt das Portfolio der bisherigen Spiele und Spielideen: Da gibt es zum einen erste gemeinsame Spielkonzept Insomnia – ein Mix aus Endzeitabenteuer und antiker Göttermythologie, bei dem Spieler*innen Pompeij vor dem Ausbruch des Vesuvs retten müssen – dessen mögliche Umsetzung in der Zukunft nach wie vor auf dem Tisch bleibt.

Im Rahmen des Studiums folgte außerdem das Projekt Fading, ein Walking Simulator, in dem Spieler*innen einen Raum und seine Geheimnisse entdecken. Was eigentlich mit Bestehen des Seminars abgeschlossen gewesen wäre, entwickelten die vier Studentinnen in ihrer Freizeit weiter und stellten das fertige Spiel online kostenfrei zur Verfügung. Im selben Kurs entstand außerdem Free Speech, ein Browsergame-Prototyp, in dem Spieler*innen entscheiden, ob angezeigte Zitate von Twitter und Personen des öffentlichen Lebens noch unter den Deckmantel der Meinungsfreiheit fallen sollten. Auch dieses Projekt soll bald für den App Store finalisiert werden.

In eine völlig andere Richtung geht das Cow Game: ursprünglich als Teambuildingmaßnahme beim Game Jam-Wochenende gestartet, entstand in den Wochen und Monaten darauf eine Mini-Open World, in der Spieler*innen in die Rolle einer Kuh schlüpfen, deren Kalb vom Metzger entführt wurde und das es zu retten gilt. Das Projekt soll im Frühjahr 2022 als erstes kommerzielles Spiel von NightinGames auf der Plattform Steam erscheinen und nimmt daher einen Großteil der Zeit der Entwicklerinnen ein.

Außerdem arbeitet NightinGames im Rahmen des (Noch-)Prototypen Jerry McPartlin and The Flute of Anasa seit Juli mit den Bit Barons zusammen, einem erfahrenen Studio, mit dessen Unterstützung sie einen Publisher und Fördermittel für die Weiterentwicklung des Prototypen gewinnen wollen.

„Dass wir alle Workaholics sind, ist eine große Hilfe“

Bei aller Arbeitsteilung ist dem Team wichtig, neben der geschäftlichen Zusammenarbeit auch privat befreundet zu bleiben und trotzdem beides so gut es geht voneinander zu trennen. Ein Übergang, der oft immer noch fließend ist und in dem das Private manchmal zu kurz kommt, vor allem für Antonia und Yasmin, die nebenbei in Teilzeitjobs im Medien- und Designbereich arbeiten.

Über die Zeit, Arbeit und Nerven, die gerade am Anfang in das gemeinsame Projekt fließen würden, waren sich die vier Entwicklerinnen von Beginn an im Klaren. Trotzdem bleibt die derzeitige Phase eine Herausforderung – auch vor dem Hintergrund der Finanzierung. Als Gesellschafterinnen starteten die drei Gründerinnen vor einem Jahr mit eigenem Kapital in ihr Unternehmen, nur Tanja ist bisher offiziell bei NightinGames angestellt, die Ausgaben seitdem beschränkten sich auf das Minimum. Bisher entwickelte Spiele stehen online kostenlos zur Verfügung – Aussicht auf erste Erlöse gibt aktuell die Weiterentwicklung des Cow Game für den Release auf Steam. Zwischendrin überbrücken verschiedene kleinere Aufträge, beispielsweise ein Introvideo für einen YouTuber oder einen Erklärfilm für die Uni: „Wir gehen gelegentlich mit dem Filmbusiness fremd“, lacht Tanja. Ihre Erlöse möchte das Team in PCs investieren, um eine bessere Trennung zwischen Studium, Privatleben und Arbeit möglich zu machen. „Unser langfristiges Ziel ist natürlich, dass wir irgendwann alle bei unserem eigenen Studio angestellt sind“, betont Antonia.

Dass sie zu viert bleiben, ist dabei weder der Plan noch die Realität: Die Entwicklerinnen werden derzeit schon zum zweiten Mal durch Praktikant*innen unterstützt, die an der 3D-Remodellierung des Cow Game beteiligt sind. Mittlerweile kommen Bewerber*innen für die Praktikumsplätze selbst auf das Studio zu – über die Grenzen von Bayreuth hinaus. „Wir finden es total spannend, dass es jetzt schon so großes Interesse gibt, obwohl wir noch nicht in der Lage sind, unsere Praktikant*innen zu bezahlen“, sagt Tanja. Sobald ein Publisher für das aktuelle Projekt gefunden ist, will sich das Team außerdem auf die Suche nach Verstärkung im Bereich Sound Design machen.

Den Standort Bayreuth durch die eigene Präsenz stärken

Obwohl als Ort für Studium und den Absprung in die Selbständigkeit perfekt, räumt das NightinGames-Team ein, dass Bayreuth als Medienstandort noch ausbaufähig ist. So stellt die Stadt derzeit schon Büroräume zur Verfügung, die kleine Studios mieten können – das läuft, wie vieles andere auch, aber derzeit noch im Proberahmen, wie Antonia es ausdrückt. Trotzdem will das Team in Bayreuth bleiben: „Indem wir bleiben, stärken wir den Standort, in Hinblick auf Studium und Gründungsszene im Spielebereich“, sagt Tanja. Die Entscheidung für Bayreuth ist außerdem ein Dankeschön an die wachsende hilfsbereite Community aus Studios, Gründer*innen und Kommiliton*innen, die nicht nur in Hinblick auf die Gründung von NightinGames vor Ort vieles möglich macht. Insbesondere Events wie der Global Game Jam oder der Franken Game Jam helfen der Szene: „Da passiert gerade einiges, in meinen ersten Semestern war das noch sehr anders“, erinnert sich Yasmin.

Was steht abseits der Spielentwicklung in naher Zukunft für das Team an? Antonia widmet sich seit ihrem Abschluss im Frühjahr in Teilzeit dem Studio und arbeitet nebenbei als Mediendesignerin, Tanja arbeitet als erste offizielle Angestellte in Vollzeit für NightinGames, Natalie hat noch ein paar Bachelorsemester vor sich, Yasmin ist im Oktober in den Masterstudiengang Computerspielwissenschaften gestartet: „Es bleibt erstmal stressig“.

Wenn ihr mehr über die Projekte von NightinGames erfahren und ihre Spiele testen wollt, besucht die Entwicklerinnen auf ihrer Website oder auf der Indie Games-Plattform itch.io.

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