19.10.2021Wissenschaft

Gaming auf Masterniveau – Computerspielwissenschaften in Bayreuth

Foto: Universität Bayreuth

Seit Wintersemester 2015/2016 gibt es den Master Computerspielwissenschaften an der Uni Bayreuth. Der Studiengang ist als Schnittstelle von Geisteswissenschaften und Informatik angesiedelt. Wie funktioniert das? Warum brauchen Informatiker*innen und Geisteswissenschaftler*innen einander? Und was macht den Standort Oberfranken für die Spielentwicklungsszene attraktiv? Darüber haben wir mit Studiengangsmoderator Prof. Dr. Jochen Koubek gesprochen.

In der Anfangszeit von Covid-19 hatte der zockende Teil der Bevölkerung vermutlich ein paar mehr Spielstunden auf dem Konto als vor dem ersten Lockdown. Trotzdem bleiben Games für die meisten Spieler*innen eben genau das: ein Spiel, ein Hobby, Ablenkung nach einem stressigen Tag. Studierende der Computerspielwissenschaften haben auf Games einen deutlich tieferen wissenschaftlichen und praktischen Blick. Jeden Herbst starten rund 15 bis 20 von ihnen in den 120 ECTS-Master, im kommenden Wintersemester werden es 22 sein. Sie bringen in der Regel entweder schon Bachelorabschlüsse mit Games-Bezug mit oder haben informatik- oder mediennahe Fächer studiert. Rund ein Viertel von ihnen sind Frauen. Und der angestrebte Masterabschluss ist so individuell wie die Studierenden selbst.

Master of Arts oder Master of Science – that is the question

Grundsätzlich gilt: Die Art des Abschlusses hängt davon ab, ob die Masterarbeit in der Medienwissenschaft oder der Informatik geschrieben wird – egal, welche Schwerpunkte während des Studiums gewählt wurden. Auch wenn sich beide Abschlüsse einigermaßen gleichmäßig auf die Anzahl der Absolvent*innen verteilen, sind Tendenzen erkennbar: “Bei vielen ist das durch ihren Bachelorstudiengang absehbar, aber nicht festgelegt“, sagt Koubek. Wer also eher aus der Geisteswissenschaft kommt, macht dann auch mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Master of Arts statt einen Master of Science.

Während der vier Semester Studium entscheiden sich Studierende aber zunächst für eine von vier Spezialisierungen: Bei den Media Scholars steht die medienwissenschaftliche Betrachtung von Spielkulturen im Mittelpunkt, die Spezialisierung Computer Scientist bereitet auf eine Tätigkeit als Informatiker*in vor. Bei den Game Designern dreht sich alles um die konzeptuelle Spieleentwicklung, die die Game Developers als Spieleprogrammierer*innen umsetzen. Weil der Masterstudiengang aber interdisziplinär ist, kommen alle vier Gebiete ständig miteinander in Berührung.

Der Wille zählt, reicht aber oft nicht aus

Genau diese Verbindungen sind schon bei der Bewerbung für das Studium wichtig. Dort wird in einem persönlichen Gespräch geprüft, welche Vorkenntnisse Bewerber*innen in den vier Richtungen mitbringen – und wie realistisch es ist, dass sie die fehlenden Bereiche erfolgreich studieren können. Dabei ist es essenziell, dass Bewerber*innen mit mindestens zwei der vier Säulen, wie Koubek sie nennt, durch das Bachelorstudium oder eigenes Engagement in Berührung gekommen sind: „Ich wollte schon immer Game Designer werden‘ ist zwar eine klasse Motivation, wenn daraus aber niemals auch nur der Entwurf eines eigenen Spiels geworden ist, reicht das im Master einfach nicht mehr aus“, sagt Koubek. Ein genauso großes Problem: hoch spezialisierte Bewerber*innen, die nur Lust auf einen Bereich haben. Oftmals tun sich Vollblutinformatiker*innen mit Gaming-Diskussionen auf geisteswissenschaftlichem Niveau genauso schwer wie Geisteswissenschaftler*innen mit dem Programmieren. Deshalb prüft Koubek schon im Eignungsfeststellungsgespräch die Bereitschaft der Bewerber*innen, sich in beide Welten einzuarbeiten – denn davon lebt der interdisziplinäre Studiengang.

Projektarbeit ohne Deadlines: kein Studium im Easy Mode

Eine Besonderheit des Bayreuther Masters: Es gibt keine Fristen für Projekte. Was erst einmal super klingt, stellt sich für viele Studierende als enorme Herausforderung in Sachen Selbstorganisation heraus – und nicht nur das. Da gibt es zum einen die lebendige Spielkultur auf dem Campus mit regelmäßigen Spieleabenden und Game Jams, bei denen die Studierenden in einem produktiven und motivierenden Umfeld das Produzieren von Spielen lernen. Und da sind auch noch das Game Innovation Lab, das die Studierenden die technologische und räumliche Infrastruktur für ihre Projekte zur Verfügung stellt, und der Discord-Server Basement of Procrastination, auf dem sich die Studierenden privat miteinander vernetzen: „Es gibt bei uns auch einfach sehr viel Ablenkung“, sagt Koubek. Das zeigt sich auch bei der Studiendauer: Nur wenige schließen den Master in den vier Semestern Regelstudienzeit ab. Dass gute Dinge aber manchmal eben Zeit brauchen, zeigt das Indie-GamePassing By, das dem aus vier Studierenden bestehenden Studio Windsocke dieses Jahr die Auszeichnung „Bester Prototyp“ beim Deutschen Computerspielpreis einbrachte.

 

Wie stellt man sowas auf die Beine? In den Projekten arbeiten die Studierenden wie ein Entwicklerstudio im Kleinen – das bereitet auf den späteren Arbeitsalltag vieler Absolvent*innen vor. Dabei entsteht am Ende nicht nur ein Spiel als wichtiges Produkt, sondern auch die Kommunikationsfähigkeit, auf die es in der Zusammenarbeit in größeren Teams ankommt: „Das sind total unterschiedliche Weltzugänge, wenn die einen mehr abstrakt-konzeptionell und die anderen bevorzugt praxisorientiert denken“. Und während die geisteswissenschaftliche Seite sich eher um die Message, den Aufbau und die Regeln des Spiels kümmert, beschäftigen sich die Informatiker*innen mit der Umsetzung. „Wenn man Regeln für ein Spiel formuliert, liest sich das am Ende fast wie ein Gesetzestext“, sagt Koubek, „dann ist der Weg zur Übersetzung in die Programmiersprache gar nicht mehr so weit“.

Obwohl wesentlicher Bestandteil des Studiums, ist Projektarbeit nur ein Teil der insgesamt vier Semester. Vorher belegen die Studierenden Module zu Medientheorie und angewandter Informatik. Gaming-Skills sind für das Studium übrigens kein entscheidendes Kriterium.

Die Game Development-Szene in Bayreuth wächst

Je nach Spezialisierung steht den Absolvent*innen eine berufliche Bandbreite vom Journalismus über Game Writing bis zur Selbständigkeit mit dem eigenen Entwicklerstudio offen. Um den Studierenden den Weg zur Gründung zu erleichtern, arbeitet der Lehrstuhl mit dem Digitalen Gründerzentrum Bayreuth (DGZ) zusammen. Im Rahmen des sogenannten Ludium Generale (lat. „ludere“=spielen) können Studierende Workshops des DGZ belegen. Im Game Innovation Lab bestehen außerdem Kontakte zum FilmFernsehFonds Bayern, zu Games Bavaria, zum Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft Bayern in Nürnberg und über das Mediennetzwerk Bayern zu Bayerischen Games-Professuren und anderen Innovationslaboren und -initiativen.

Prof. Dr. Jochen Koubek. Foto: Universität Bayreuth.Prof. Dr. Jochen Koubek. Foto: Universität Bayreuth.Koubek selbst träumt von einer oberfränkischen Entwickler*innenszene: „Gerade durch die kurzen Wege und die Nähe zum Gründerzentrum ist in Bayreuth eine Menge möglich“. Das scheinen viele Bayreuther Studierende und Alumni der Computerspielwissenschaft auch so zu sehen. Aus jedem Jahrgang entstehen im Schnitt zwei Entwicklerstudios, nicht alle wandern in Großstädte ab: Entwicklergruppen wie Rappbit, Emergo Entertainment und NightinGames  sind in Bayreuth geblieben und treiben vor Ort die Szene voran – und sorgen dafür, dass jüngere Semester vom Wissen erfahrener Entwickler*innen profitieren.

Und was zockt Prof. Dr. Koubek privat? Durch seine Pflichten als Familienvater und Studierendenbetreuer deutlich weniger als früher, sagt er. Am liebsten mag Koubek aber Action Adventures, Spiele mit Rätselanteil und sogenannte Immersive Simulations, mit denen man echte Geschichte statt fiktiven Geschichten nachspielt. Dabei heißt Gaming für ihn immer auch Recherche: Er muss schließlich im Auge behalten, was auf dem Markt passiert. Deshalb laufen auf seiner privaten Konsole eher kleinere, weniger bekannte Titel: „200 Spielstunden für ein Open World Rollenspiel sind da nicht drin.“

Hier gibt es weitere Infos zum Studiengang.

 

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