27.09.2021Wissenschaft

KI made in Oberfranken – Visual Computing in Coburg

Noch nie die eigene Hochschule von innen gesehen zu haben – was derzeit viele junge Menschen in ganz Deutschland betrifft, gilt auch für Studierende des Bachelor of Science „Visual Computing“ der Hochschule Coburg – den gibt es nämlich erst seit dem Wintersemester 2020/2021. Wir haben mit Studiengangsleiter der ersten Stunde Prof. Dr. Quirin Meyer darüber gesprochen, wie der Start trotzdem geglückt ist, warum Scheitern wichtig ist und welche Lücke der neue Studiengang in der Informatik füllt.

Genau genommen stimmt die Behauptung, die neuen Bachelorstudierenden des Visual Computing hätten die Hochschule noch nicht von innen gesehen, nicht ganz: Den Anfang zum Launch des Studiengangs im vergangenen Herbst machten vier Wochen Präsenzveranstaltungen. Eine gute Gelegenheit für das anfänglich gute Dutzend Erstis und die Professor*innen, einander kennenzulernen. „Die Studierenden haben das trotz aller Umstände großartig gemacht“, erinnert sich Meyer. Die meisten von ihnen hat er danach – abgesehen von Onlineveranstaltungen – erst zu den Prüfungen wieder gesehen. Für das jetzt beginnende dritte Semester ist die Zahl der Bewerber*innen auf rund 40 angewachsen. Aber was genau machen die eigentlich?

KI, Computergrafik, Human-Computer Interaction und viel Praxis

Kurz gesagt umfasst Visual Computing als spezielles Gebiet der anwendungsorientierten Informatik alle Bereiche, in denen Bilder digital erzeugt, analysiert, modifiziert und verarbeitet werden. Die Studierenden bekommen in den ersten Semestern die Grundlagen der Mathematik und Informatik vermittelt, genauso wie fundiertes Wissen zu Computergrafik, Computer Vision, künstlichen Intelligenz und Mensch-Maschine-Interaktion. Im fünften Semester findet das Praxissemester statt, das Studierende dank intensiver Kontakte der Professor*innen bei verschiedensten lokalen Unternehmen absolvieren, zum Beispiel bei den Siemens Healthineers. Im sechsten und siebten Semester legen Studierende ihre eigenen Schwerpunkte, zum Beispiel in Game Design, Animation und Film oder medizinische Bildverarbeitung – und bekommen dabei auch im Rahmen ihrer Projekt- und Bachelorarbeit Einblicke in andere Fakultäten der Hochschule. Das macht Visual Computing deutlich konkreter als ein generisches Informatikstudium – gleichzeitig sind Absolvent*innen auch für Informatikberufe qualifiziert.

Auch wenn es Überschneidungen gibt, sollten Bewerber*innen Visual Computing trotzdem nicht mit Medieninformatik verwechseln, erklärt Meyer: „Unser Schwerpunkt liegt klar auf Mathe, Programmieren und Künstlicher Intelligenz“.

Theorie genau dann erklären, wann sie auch gebraucht wird

Die Mischung aus Theorie und Praxis entscheidet in jedem Studium über den Lernerfolg. Wird der theoretische Input erst nach einigen Semestern Pause angewandt, geht dabei oft nicht nur das Wissen, sondern auch die Motivation verloren. Während Praxis im Visual Computing Programmieren bedeutet, liefert das theoretischen Handwerkszeug dafür die Mathematik: „Indem die Studierenden Mathe direkt anwenden, entsteht eine viel höhere intrinsische Bereitschaft zum Lernen, weil sie merken: Was ich hier lerne, bringt mich in der Praxis weiter“, sagt Meyer.

„Wir suchen keine Einzelkämpfer“

Klassische Lehrformate mit reinem Input gibt es im Visual Computing wenige: Sogar Vorlesungen haben bei den meisten Professor*innen interaktive Anteile, in denen Studierende Wissen und Fragen einbringen. Was zu Beginn am meisten einschüchtert: Mathe. Auch wenn es hier die absoluten Cracks leichter haben, reicht eine generelle Affinität für den Anfang aber aus, beruhigt Meyer. Mindestens genauso wichtig: der Wille zum Ausprobieren und Tüfteln, Durchhaltevermögen und ein gesundes Maß Frustrationstoleranz, wenn die Dinge nicht auf Anhieb funktionieren. „Scheitern zieht sich durch das Leben eines Informatikers und es gibt viele Wege zum Ziel“, erklärt Meyer.

Besonders freut Quirin Meyer der Wissensaustausch unter den Studierenden selbst, vor allem in den Einführungsveranstaltungen: Wer mit Vorwissen kommt, gibt es weiter. Das Bild vom blassen Informatiker, der allein im dunklen Kämmerchen programmiert, ist übrigens ein Mythos. „Unsere Projekte bestehen fast immer aus Studierendengruppen, deshalb ist Teamfähigkeit unerlässlich“. Auch das Klischee von angewandter Informatik als reiner Männerdomäne widerlegt der Frauenanteil von Visual Computing – mit 19 Prozent ist er fast doppelt so hoch wie der des regulären Informatikbachelors der Hochschule Coburg. Aktuelle Beispiele für Projekte der Studierenden: Simulationsdatenberechnungen für autonomes Fahren, eine Schadenserkennungssoftware für automatische Reklamationen und neue Algorithmen, die dank enormer Datenreduzierung – und dadurch geringeren Speicheraufwand – Videospiele noch realistischer aussehen lassen.

Starke Nachfrage nach spezialisierten Informatiker*innen

Obwohl es aktuell noch keine Absolvent*innen gibt, spüren die Professor*innen schon jetzt die enorme Nachfrage aus Industrie und Wirtschaft – und zwar von innovativen Startups bis zum lokal ansässigen Mittelstand. „Gerade, weil wir keine generischen Informatiker*innen auf den Markt bringen, sind die Skills, die wir im Visual Computing vermitteln, sehr gefragt“, sagt Meyer. Mögliche Arbeitsfelder: Medizintechnik, die Automobil-, Medien-, Software- oder Spieleindustrie. Wer nicht direkt in die Berufswelt einsteigen und an der Hochschule Coburg bleiben möchte, kann sich dort für die Masterstudiengänge Informatik und Elektro- und Informationstechnik qualifizieren.

Für den siebensemestrigen Bachelorstudiengang Visual Computing gibt es keine formalen Zulassungsvoraussetzungen. Wer neugierig geworden ist, kann sich noch bis zum 30. September 2021 online bewerben – übrigens auch im Rahmen eines dualen Studiums.

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