25.04.2021Portraits

Innovatives Handwerk aus Franken: Fickenschers Backhaus

Foto: Frank Wunderatsch

Der Beruf des Bäckers gilt allgemein als eher unattraktiv: Nachtarbeit, körperlich anstrengend und dann noch geringe Vergütung oben auf. Das sind wohl die Argumente, die von den Meisten genannt werden, wenn sie gefragt werden, ob sie sich vorstellen könnten, den Beruf des Bäckers zu ergreifen. Doch sind diese festgefahrenen Vorurteile überhaupt noch aktuell? Ist der Bäckerberuf nur etwas für Back-Enthusiasten, bei denen das getane Werk und nicht die Entlohnung im Fokus steht? Will hauptsächlich derjenige Bäcker*in werden, der/die von Haus aus einen Bezug zum jahrhundertealten Handwerk hat?

Brotsommelier und Genusshandwerker Andreas Fickenscher zeigt, wie mit der Rückbesinnung auf alte Handwerkstechniken die Kehrtwende im Bäckerhandwerk gelingen kann und wie man junge Leute wieder dazu begeistern kann, diesen Handwerksberuf zu ergreifen. Der gelernte Bäcker- und Konditormeister setzt in seinem digitalisierten Betrieb auf moderne Technik zur Herstellung seiner Backwaren. Die Produktionsstätte hat nichts mit dem angestaubten Image der altbekannten Bäckerstube gemein.

Heiligs Backbleche!

Ist das doch nur Industrieware, Backmischungen und kein Handwerk? Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Fickenschers Backhaus nutzt die Technologie, um Brot und Backwaren wie vor Jahrhunderten herzustellen. Hier fühlt sich Andreas Fickenscher der 350-jährigen Familientradition verpflichtet, ursprüngliches Backhandwerk wie zu Großmutters Zeiten zu betreiben. Das A und O ist für ihn die Verwendung von vorwiegend regionalen Rohstoffen, der Verzicht auf chemische Zusatzstoffe und dafür lange Teig-Reifezeiten. Dabei ist die Digitalisierung des Unternehmens ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Betriebes und die Qualität der Ware.

Digitalisierung der Arbeitsabläufe ohne Traditionsverlust?

Verwaltung, Controlling, Personaleinsatzplanung, Kassenführung und Warenwirtschaft laufen digital ab. Die neun Fachgeschäfte und Verkaufsräume sind miteinander vernetzt und senden ihre Bestellungen täglich direkt in die Backstube. Was in der Backstube selbst nicht zum eigentlichen Handwerk gehört, soll im Hause Fickenscher so weit wie möglich automatisiert werden: Dazu zählen das Abwiegen der Zutaten, die Berechnung der benötigten Teigtemperaturen, der Abgleich von Lagerbeständen sowie die Bestellung von Rohstoffen bei regionalen Partnern.

Um den Arbeitsalltag der Bäcker*innen zu erleichtern, kommen ebenfalls Maschinen zum Einsatz. So werden die Teige vollautomatisch gewogen und portioniert, die Steinbacköfen sind mit einer Programmsteuerung ausgestattet und die Kommissionierung der fertigen Gebäcke erfolgt über digitale Verkaufsdisplays. Das alles spart Zeit, die die Bäcker*innen für andere Arbeiten verwenden können.

Attraktivitätskiller frühes Aufstehen - nicht bei Fickenschers

Doch bei aller technologischen Arbeitserleichterung: Ein*e Bäcker*in muss trotzdem vor den Hühnern aufstehen, oder? Nicht bei Fickenschers. Durch die digitalisierte Backstube können 70 Prozent der einstigen Nachtarbeit auf den Tag verlegt werden. Das Zauberwort heißt auch hier: Zeit.

Die Teige für die Backwaren werden mindestens einen Tag früher als üblich hergestellt. Anschließend wandern sie zum Ruhen in Teigkammern. Der Computer überwacht diese Teigkammern, um die Reifezeiten der Teige optimal zu steuern: Richtige Luftfeuchte, Temperatur und Zeit sind entscheidend für das perfekte Endprodukt. 48 Stunden gehen hier manche Teige, bevor sie weiterverarbeitet werden. Ohne Chemie, aber mithilfe modernster Technik. Bei jeder Umstellung im Hause Fickenscher gilt: Nur wenn die althergebrachte Rezeptur bzw. der Teig ohne Veränderung und ohne Zugabe von chemischen Hilfsmitteln verarbeitet werden kann, ist eine Umstellung von Handwerk auf Maschinenarbeit sinnvoll.

Erst am darauffolgenden Morgen werden die Backlinge dann fertig gebacken und in die Verkaufsräume gebracht. So kann nicht nur die Nachtarbeit reduziert werden, die Backwaren haben gleichzeitig mehr Geschmack. Bei Broten erhöht sich dadurch auch die Haltbarkeit.

Auf ein gemeinsames Brot mit Alexander Hermann

Es ist naheliegend, wieso es der Bäckerei Fickenscher im Vergleich zu anderen Betrieben nicht so schwerfällt, Azubis und Gesell*innen auf sich aufmerksam zu machen. 2018 erhielt Fickenschers Backhaus den Zukunftspreis der Handwerkskammer für den ganzheitlichen Ansatz der Digitalisierung im Betrieb und die Zielsetzung, dadurch das Bäckerhandwerk wieder attraktiver zu machen.

Die Digitalisierung der eigenen Backstube hat auch Andreas Fickenscher selbst eines noch mehr gegeben: Zeit. Zeit für seine Leidenschaft neue Rezepte zu entwickeln, wie sein „Heimatbrot“. Ein Brot, das er in unzähligen Stunden zusammen mit Experten, Wissenschaftlern und dem Sterne-Koch Alexander Herrmann entwickelte. Ein Brot aus Roggen und Weizen, Sauerteig und Quellwasser, Hefe, Rauchbier und Fichtenspitzensirup mit einer Kruste aus blauen Frankenwaldkartoffeln. Und auch Zeit um sich als stellvertretender Leiter des Slow Food Oberfranken e.V. für mehr Bewusstsein rund um Nahrungsmittel zu engagieren.

start.land.flow: Wie geht’s denn nun weiter? Was habt ihr für die nächsten Jahre in Sachen Technisierung und Digitalisierung noch alles geplant?

Andreas Fickenscher: Digitalisierung ist bei uns im Hause ja kein abgeschlossenes Projekt und geht immer mit dem technischen Fortschritt einher. Wir werden auch zukünftig die Prozesse auf ihre Zeitmäßigkeit überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Derzeit sind wir dabei die Buchhaltung und das Belegmanagement weitgehend zu automatisieren, die inzwischen in die Jahre gekommene IP-Telefonanlage zu modernisieren und unserem Onlineshop Brotverliebt.de ein Update zu verpassen. Das alles soll und darf aber in keinster Weise Einfluss auf die Produktqualität haben, soll uns aber mehr Zeit und Kapital für die Fortführung der jahrhundertelangen Unternehmensgeschichte bringen.

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