21.11.2022Startups

Weitergeben statt wegschmeißen: Zweites Leben für Gebrauchtmöbel

© Sonja Wietzel-Winkler

Auch ohne Testament ist das Schicksal jedes zweiten gebrauchten Möbelstücks besiegelt: Verbrennung. Dabei hätten Tisch, Stühle und Sofa noch ein langes Leben haben können. Um jedoch gute Altmöbel an anderer Stelle weiterzuverwenden, braucht es einen Abnehmer. Was in kleinem Rahmen mit Omas Nachttisch auf Plattformen wie Ebay-Kleinanzeigen machbar ist, stößt bei einer ganzen Büromöbel-Ausstattung schnell an seine Grenzen. Diesem Problem haben sich Harald Prokscha und Daniela Roßner angenommen und Schritt für Schritt ein Unternehmen aufgebaut: WeiterGebenOrg. Was die Hofer Symphoniker und ein ganzer Berg Stahlschränke mit der Gründung zu tun haben, hat Prokscha start.land,flow erzählt.

Laut der Bertelsmann Stiftung gibt es in Deutschland mehr als 600.000 gemeinnützige Einrichtungen. Werden dort Möbel gebraucht, können nicht tausende Euro bei IKEA oder XXL Lutz ausgegeben werden. Die Vereine und Organisationen sind auf Spenden angewiesen. Aber wer ist der Ansprechpartner? Seit 2017 sind es die Mitarbeiter*innen von WeiterGebenOrg. Das ist die einzige Plattform in Deutschland, die darauf spezialisiert ist, in einem professionellen Rahmen Angebot und Nachfrage gebrauchter Möbel abzubilden. Davon profitieren inzwischen unter anderem Kindergärten, Altenheime und Frauenhäuser, sowie große soziale Vereine wie die Diakonie und das Rote Kreuz. Aber auch die Anbieter bekommen mehr als das schöne Gefühl einer guten Tat. Schließlich ist es eine kostengünstige, schnelle und effektive Möglichkeit auch große Mengen an Altmöbeln loszuwerden. In einer derartigen Situation war der Mitbegründer Harald Prokscha vor etwa zehn Jahren, was ihn dazu veranlasste, das Problem ‚Gebrauchtmöbel‘ anzugehen.

Von Stühlen und Stahlschränken

Im Interview erzählt der Experte für gewerbliche Gebrauchtmöbel davon, dass er 2012 eine große Menge neuwertiger Stahlschränke von seinem damaligen IT-Unternehmen spenden wollte, aber keine zentrale Anlaufstelle fand. Die andere Seite des Problems erfuhr Mitbegründerin Daniela Roßner, die für eine Schule in Oberfranken Stühle suchte, aber keine Angebote fand. Nur durch Zufall sah sie dann die Hofer Symphoniker in ihrem Innenhof zahlreiche Stühle für den Sperrmüll zerkleinern und schritt ein. Das Resultat: Weniger Arbeit für die Symphoniker und kostenlose Stühle für die Schule ­– eine Win-Win-Situation. Eigentlich sind Möbel-Spenden sogar ein ‚Win-Win-Win-Fakt‘. Denn zusätzlich werden keine Umweltressourcen verschwendet und laut WeiterGebenOrg der CO2 -Ausstoß im Vergleich zum Neu-Möbelkauf um bis zu 90 Prozent reduziert. Die Frage nach dem Bedarf einer solchen Plattform war demnach schnell geklärt. Dennoch sollte es einige Zeit dauern, bis das Projekt einen ersten Testbetrieb starten konnte, denn WeiterGebenOrg wurde schon in der ersten Findungsphase durch eine Fehleinschätzung einer Jury ausgebremst.

„Gemeinnützige nehmen keine gebrauchten Möbel“? Von wegen!

Den Grundstein zu ihrem Unternehmen legten Prokscha und Roßner bei einem zweitägigen Brainstorming- und Umsetzungsprojekt des StartupLabs Leipzig. Bei einer anschließenden öffentlichen Vorstellung und Bewertung war sich die Jury jedoch einig: „Gemeinnützige nehmen keine gebrauchten Möbel.“ Von dieser Fehleinschätzung ließen sich die angehenden Gründer nicht bremsen und konnten 2016 auch ohne weitere Hilfen vom StartupLab in eine erste ehrenamtliche Testphase starten. Mit Erfolg: Innerhalb weniger Monate wollten zahlreiche Unternehmen von Lufthansa bis zur Sparkasse Einrichtungsgegenstände spenden. Das mache Prokscha bis heute noch stolz, erzählt er. Allerdings habe der Probedurchlauf auch gezeigt, dass es kein ausgereiftes System für Gebrauchtmöbelspenden gibt und die Initiatoren „angestachelt, ein sehr gutes Konzept zu entwickeln und umzusetzen“.

Das Konzept von WeiterGebenOrg

Die Idee von WeiterGebenOrg ist im Prinzip simpel: Wer gebrauchte Möbel abzugeben hat, muss lediglich online auf der Seite ein Formular ausfüllen und spart sich damit eine zeitaufwendige Recherche nach möglichen Abnehmern. Anschließend werden automatisch gemeinnützige Organisationen und willige Abnehmer über die Möbel informiert. Wer also regelmäßig Vorschläge zu Einrichtungsgegenständen für zum Beispiel einen Laden, eine Werkstatt oder auch im Bereich der Gastronomie möchte, trägt sich ebenfalls bei WeiterGebenOrg in den Mailverteiler ein. Mit diesem System konnten die Gründer sogar schon bei der Flutkatastrophe im Arthal 2021 zahlreichen Menschen beistehen. Anderen zu helfen und dabei etwas Gutes für die Umwelt zu tun ist es auch, was Prokscha an seiner Arbeit am meisten Freude bringt: „Man hat jedes Mal ein super Gefühl, wenn man es schafft Sachen in die Weiternutzung zu bringen.“

Volles Engagement für große Ziele

Die größte Schwierigkeit waren und sind für den Koordinator des Unternehmens die Finanzen. Denn die Einnahmequellen bei WeiterGebenOrg belaufen sich auf Fördergelder und Sponsoring, deren Resonanz sich bisher in Grenzen hält sowie Geldspenden. Die Vermittlungsgebühr von einem Euro pro Möbelstück wird nur bei größeren gemeinnützigen Organisationen berechnet, darüber hinaus ist das Angebot von WeiterGebenOrg kostenfrei. Ansonsten funktioniert das Projekt nur durch ehrenamtliches Engagement. Dabei geben alle Beteiligten Vollgas und haben ambitionierte Ziele. „Nächstes Jahr soll es eine Art Ausgründung geben, damit wir die gewonnenen Erfahrungen in automatisierte Prozesse umsetzen können, wovon wir uns eine Verhundertfachung der Möbelmengen erwarten“, so Prokscha. Dadurch erhoffe sich der Gründer außerdem, Personen auf das Projekt aufmerksam zu machen, die sich „mit ihrem Knowhow bei WeiterGebenOrg einbringen können“. Auch grundsätzlich wünschen sich die Gründer mehr Aufmerksamkeit für das Thema, da es den Menschen einen ökologischen und sozialen Fortschritt bringen kann, oder wie es auf der Seite von WeiterGebenOrg steht: „Möbel-Spenden sind doppelt gut“!

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