Durch Smart Cities zum smarten Landkreis: Wunsiedel im Fichtelgebirge
2019 wurden vom Bundesinnenministerium aus ganz Deutschland 13 Städte und Gemeinden ausgewählt, um mit einer Förderung von jeweils 15,75 Millionen € digitale Lösungen für das Gemeinwohl zu entwickeln. In den kommenden Wochen möchten wir euch die Kommunen aus der Region vorstellen, die dafür ausgewählt wurden. Den Anfang macht Wunsiedel im Fichtelgebirge, denen in der ersten Staffel nicht nur als einzige oberfränkische Kommune sondern auch bundesweit als einzigem Landkreis die Förderung zugesprochen wurde.
Zwei Jahre nach Beginn der Projektphase hat sich in Wunsiedel einiges getan und viele Ideen wurden entwickelt für eine digitale Zukunft des Landkreises. Der Landkreis steht damit
am Ende der sogenannten „Strategiephase“, an die sich die fünfjährige Umsetzungsphase anschließt, in der entwickelte Ideen in die Tat umgesetzt werden sollen. Darunter sind etwa ein öffentliches WLAN oder die „Fichtel-App“, die als Newsportal und Tourismus-App genutzt werden könnte. Wir haben mit dem Projektleiter Oliver Rauh gesprochen und ihm einige Fragen zum derzeitigen Stand der Dinge und weiteren Schritten gestellt.
start.land.flow: Der Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge wurdet im Juli 2019 ausgewählt und befindet euch noch in der Strategiephase. Wie ist denn euer aktueller Stand?
Oliver: Es wird einen kleinen Übergang zur Umsetzungsphase geben. Unsere Strategie wurde bereits im Kreistag vorgestellt und genehmigt. Das ist die übergreifende Strategie und da wird es noch eine Detailkonzeption für einzelne Projekte, die jetzt im Rahmen der Umsetzungsphase geschehen werden, geben. Nichtsdestotrotz gibt es die ersten Teilprojekte, die an den Start gehen.
start.land.flow: Bei der Planung für die Fichtel-App ist auch die Rede von Gamification-Elementen. Wie kann man sich das genau vorstellen?
Oliver: Die Überlegung ist, dass man vielleicht mit Augmented- und Virtual Reality-Inhalten arbeitet. Wenn ich zum Beispiel auf einer Wanderstrecke unterwegs bin, ploppt dann kurz eine Benachrichtigung auf. Sei es ein kleines Quiz über den Schneeberg, wenn ich an der Spitze stehe oder dass ich QR-Codes in der Region installiere, die ich dann einscannen kann und dafür Punkte bekomme. Damit Nutzer*innen der App dann auch wieder einen Mehrwert davon haben, könnten sie einen Rabattcode von 5% für ein Restaurant am Ende der Route bekommen. So soll die App praktisch ein Gesamtkonzept sein, was der Region und der lokalen Wirtschaft zugutekommt. Da geht es darum, einerseits die Gastronomie, andererseits aber auch den Einzelhandel mit einzubinden.
start.land.flow: Was sind im Kontext von Smart City die größten Herausforderungen für den Landkreis beim Thema Mobilität?
Oliver: Es war uns von Anfang an klar, dass Mobilität das Thema schlechthin sein wird. Bei der Mobilität ist die größte Herausforderung für uns, ein möglichst bequemes, attraktives und gleichzeitig bezahlbares Mobilitätsangebot zu schaffen. Die Busse auszulasten, ohne dabei das Angebot einzuschränken, sodass der Bus bestenfalls genau dann fährt, wann er für mich fahren soll, und bestenfalls auch nicht nur für mich sondern für mehrere gleichzeitig, das ist die Königsdisziplin im ländlichen Raum. Die Herausforderung ist daher, ein flexibles System zu schaffen, welches im nächsten Schritt um alternative Mobilitätsangebote erweitert werden soll. Es sollen also nicht mehr nur Busse, sondern auch weitere Mobilitätsformen wie E-Bikes oder E-Scooter genutzt werden, um den Weg von A nach B zu jeder Zeit zu ermöglichen.
start.land.flow: Euer Konzept vom Flexbus erinnert an den Hofer Landbus. Inwiefern kann man die beiden Projekte vergleichen?
Oliver: Es geht mehr oder weniger genau in die gleiche Richtung. Wir wollen mit dem FlexBus ein sog. On-Demand-Angebot schaffen. Die Fahrgäste können sich dabei zeitlich und räumlich sehr flexibel eine Fahrt in einem begrenzten Betriebsgebiet buchen. Durch eine Buchungssoftware im Hintergrund können ähnlich gelagerte Fahrtanfragen von verschiedenen Personen innerhalb einer Fahrt zusammengeführt und so die Anzahl der Gesamtkilometer verringert werden. Wir stehen hierzu selbstverständlich auch mit dem Landkreis Hof im Austausch, denn Mobilität macht nicht an der Landkreisgrenze Halt. Daher sind wir in Gesprächen, wie man die Testregion des Hofer Landbusses vielleicht auch landkreisübergreifend ausweiten und austesten kann, um dann auch erst einmal die Akzeptanz bei uns zu prüfen. Vielleicht könnte man das Gebiet dann auch über den kompletten Landkreis ausdehnen.
start.land.flow: Wie kann man die Nutzung solcher Mobilitätskonzepte möglichst niedrigschwellig organisieren, damit auch weniger technik-affine Menschen nicht von digitalen Anwendungen überfordert sind?
Oliver: Unser Landkreis ist etwas älter, daher müssen wir uns mit dem Thema auseinandersetzen. Das Thema Barrierefreiheit ist in der Mobilität der Zukunft fest verankert und wird von uns von Anfang an mitgedacht. Gerade für die ältere und mobilitätseingeschränkte Bevölkerung, die auf das öffentliche Mobilitätsangebot angewiesen ist, müssen praktikable Lösungen her. Es ist daher natürlich weiterhin möglich, z.B. seinen Rufbus per Telefonanruf zu buchen. Alle Mobilitätsangebote werden so ausgestaltet, dass sie im Zweifelsfall auch ohne Smartphone oder App gebucht und genutzt werden können. Außerdem sind wir bestrebt, Mobilitätsstationen zu etablieren, also Knotenpunkte mit einem gebündelten Mobilitätsangebot. Dort ist einerseits die Haltestelle, aber auch je nach Ort vielleicht Pendlerparkplätze, E-Ladesäulen, Bikesharing-Angebote. Diese sollen noch mit einer übersichtlichen Anzeigetafel ausgestattet werden, also einer Art digitale Säule mit integriertem Fahrplan, wo ich aber vielleicht auch gleich den Bus bestellen kann. Die Säule muss natürlich so intuitiv gestaltet werden, dass alle direkt wissen, wie sie funktioniert.
start.land.flow: Welche Ideen sind bei den Bürgerinnen und Bürgern besonders beliebt?
Oliver: Letzten Herbst hatten wir eine Bürgerwerkstatt, wo wir unsere Ideen vorgestellt haben. Wir haben im ersten Schritt bei den Bürger*innen
nachgefragt, was gerade die größten Herausforderungen sind. Diese haben wir dann in Experten-Workshops bestehend aus der Bevölkerung, Vereinen, der Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammengestellt und versucht, in Ideen umzuwandeln. Die besten haben wir graphisch aufbereitet und der Bevölkerung zurückgespiegelt, um zu sehen, ob sie auch die anfangs genannten Herausforderungen treffen würden. Da war auch die Fichtel-App als zentraler Punkt schon dabei, der von vielen genannt wurde. Ansonsten waren Landärzte, digitale Infrastruktur an Schulen, der Flexbus, der Fichtelmarkt (Anm. d. Redaktion: ein Online-Shop für lokale Erzeugnisse) führende Punkte.start.land.flow: Durch die Corona-Krise hat Digitalisierung in vielen Bereichen des Lebens zwangsweise Einzug gehalten. Habt ihr das Gefühl, dass dadurch eine andere Sensibilität für die Notwendigkeit digitaler Lösungen besteht?
Oliver: Es hat glaube ich jeder wirklich verstanden, dass es ohne diese digitalen Inhalten in Zukunft schwierig wird, weil man doch auch sehr viele Ressourcen einsparen kann. Es war wirklich immer ein sehr konstruktiver Austausch. Einerseits durch die Pandemie, aber auch durch den Ansatz mit der starken Bürgerbeteiligung kommen wir relativ gut durch das Projekt.
start.land.flow: Was war bisher die größte Herausforderung in der Organisation vom Smart City Projekt?
Oliver: Die größte Herausforderung war die Sensibilisierung der Bevölkerung, gerade in die Öffentlichkeitsarbeit haben wir relativ viel Zeit gesteckt. Ein großes Thema ist auch unsere Datenqualität. Daten sind der Rohstoff der Zukunft, weil vieles darauf basiert zu wissen, was schon vorliegt, um es in Zukunft besser organisieren zu können.
start.land.flow: Das Smart City Projekt steht unter dem Aspekt der Modellhaftigkeit. Was sind Ansätze oder Lösungen für Wunsiedel im Fichtelgebirge, von denen auch andere Landkreise und Städte etwas lernen könnten?
Oliver: Zu Beginn des Förderzeitraums wurde das Thema Digitalisierung auf dem Land noch kaum behandelt. Dementsprechend hoffen wir, dass man von uns durchaus lernen kann. Wir betreiben hier ein landkreisweites Projekt. Daher sind Themen wie regionale Versorgung ein Aspekt, der durchaus Leuchtkraft entwickeln könnte. Wenn die App so funktioniert, wie sie soll, kann ich mir auch vorstellen, dass dort einige aufspringen wollen. Sie wird auch ein Open-Source-Produkt, daher kann jeder dort auch reinschauen und das ein oder andere übernehmen.
start.land.flow: Danke für das Gespräch!
Mehr Informationen zu aktuellen Projekten der Smart City Wunsiedel i. Fichtelgebirge findet ihr auf der freiraum Website des Landkreises.