Digitalisierung (in) der Bierbranche - die Bierothek
Warum exportiert Niemand im großen Stil deutsches Bier? Diese Frage stellte sich Christian Klemenz während seines Auslandssemesters in Indien im Jahr 2011. Es verwunderte ihn, denn „deutsches Bier ist eine eigene Gattung, aber die Wertigkeit sah man nicht im Markt.“ Christian nahm sich dieser Herausforderung an und gründete daraufhin eine eigene Biermarke namens „St. ERHARD“. Das war zu der Zeit, als Craft Beer deutschlandweit noch von vielen Seiten belächelt wurde.
Dass Christian einmal selbst gründen würde, hatte er schon vorher im Hinterkopf: „Ich wollte etwas Eigenes machen und in einem Bereich arbeiten, in dem ich Leidenschaft fürs Thema habe“, erzählt er. Da war Bier die perfekte Schnittstelle für den Unternehmer. Er hat einen Bachelor in BWL und einen Master mit Gründungsfokus in der Tasche – der Geist von Entrepreneurship war daher vorprogrammiert. Aber natürlich durfte dann auch die Zusatzausbildung zum Biersommelier nicht fehlen.
Ein weitere Biermarke in Bamberg - der Region mit der ohnehin schon höchsten Brauereiendichte?
Mit Bamberg als Standort hat sich Christian den Hotspot des traditionellen Biers ausgesucht. Nirgends auf der Welt gibt es eine höhere Brauereidichte. Ein schwieriges Pflaster für einen Quereinsteiger*innen in das Bierbusiness, könnte man meinen. Aber weit gefehlt: „In einer eher langsamen, konservativen Branche sind wir steil gewachsen.“ Und zum Thema Konkurrenz vor Ort erklärt er: „Wir waren zwar in Bamberg, aber der lokale Markt hat uns gar nicht so sehr interessiert.“ Aber gerade wegen der hohen Bierpräsenz in Bamberg gibt es für ihn einen entscheidenden Standortvorteil, denn die „Bierinfrastruktur“ vor Ort ist in vielerlei Hinsicht Bestens – Lieferant*innen, Grafiker*innen und andere Dienstleister*innen aus der Umgebung haben schon mit dem Konzept „Bier“ gearbeitet, davon habe er sehr profitiert, berichtet Christian.
Die Bierothek - place to be für besondere Biere
Nur die echten Bierliebhabenden werden Christian mit seiner eigenen Marke St. ERHARD in Verbindung bringen. Für die breite Masse ist er wahrscheinlich eher bekannt als der Gründer der „Bierothek“. Die Idee dazu kam ihm, als er damit begann, seine eigene Biermarke zu vertreiben. Das stellte sich nämlich als schwierig heraus. Sein Fazit damals: Es gibt keine Handelsstruktur für besondere Biere (wie die Craft Biere es sind) in Deutschland.
Das nahm Christian als Anlass, gründete die Bierothek und nahm den Vertrieb selbst in die Hand. Die erste Filiale der Bierothek in Bamberg eröffnete 2014. Diese Idee stieß auf viel Resonanz und seitdem entwickelt sich alles mit ziemlich hohem Tempo, mittlerweile gibt es bereits 17 Filialen, 16 davon in Deutschland und eine in Wien. Die Bierotheken weisen ein breites Sortiment an besonderen und kreativen Craft-Bieren auf, haben aber genauso die jeweiligen lokalen Besonderheiten im Regal. Welches Bier es in die Auswahl schafft, unterliegt einem strukturierten Prozess inklusive Geschmacksverkostung und Informationen zu der Brauerei.
Analoges Produkt - digitale Infrastruktur
Biermarke und Biervertrieb sind aber bei weitem nicht alles, was Christians unternehmerisches Schaffen auszeichnet. Was man nämlich als Kund*in nicht sieht, ist der überdurchschnittliche Digitalisierungsgrad, den die Firmenstruktur aufweist und die Bierotheken auf ein besonderes qualitatives Level heben. Passend dazu lautet der Grundsatz des Gründers „Herausforderungen technisch begegnen.“ Dafür erhielt die Bierothek im Jahr 2020 auch schon ihre zweite Auszeichnung für gelungene Digitalisierung: Den Titel zum Digitalen Champion im bayerischen Einzelhandel dürfen sie sich nun auf ihre Fahnen schreiben. Von Algorithmen im Kassensystem bis hin zu einer breiten Social-Media-Präsenz inklusive Beerfluencer-Marketing gibt es dort einige Strategien und Konzepte.
Digitales Kassensystem hilft bei der Beratung
„Wir entwickeln dabei am Bedarf entlang“, gibt Christian Einblick in die Entstehung der Ideen. Dabei kommt ihm seine klare Vision zugute: „Mir war früh bewusst, dass wir skalieren wollen und deshalb eine eigene Infrastruktur brauchen.“ Was kann man sich darunter vorstellen? Hier ein Beispiel: Kund*innen der Bierothek dürften sich ziemlich ausführlich beraten fühlen. Das liegt unter anderem an einem eignenen ausgeklügelten cloudbasierten Kassensystem. Mitarbeiter*innen werden hier durch Algorithmen bei der Beratung unterschützt. Sie haben auf weitaus mehr Informationen Zugriff als man auf dem Flaschenetikett findet. Außerdem speichert der lernende Algorithmus, welche Biere in Kombination gekauft werden und gibt darauf aufbauend Empfehlungen aus.
Die Daten über das Kaufverhalten werden gesammelt und auch an die liefernden Brauereien weitergegeben. Damit lässt sich genau analysieren, welche Biere in welchen Filialen gut ankommen oder in welchem Postleitzahlenbereich ein Produkt aus dem Online-Shop gefragt ist. Dort gibt es einen Großteil des Sortiments der Filialen zu kaufen. Zusätzlich kann man auf der Webseite unter anderem nach Events stöbern: Verkostungen und Brauereiseminare beispielsweise. Dabei kann jede Franchisefiliale diese Veranstaltungen selbst online stellen. Die Ausgabe erfolgt gemeinsam auf einer Seite. Dieses Prinzip ist stellvertretend für den online-Auftritt der Bierothek: Es gibt eine zentrale Stelle, aber auch spezielle Kanäle und Sprachrohre für jede einzelne Filiale. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass einerseits auf regionale Besonderheiten eingegangen werden kann, anderseits bleibt durch die zentrale Komponente Stil und Wiedererkennungswert der Marke erhalten. Ein Konzept, das aufgegangen ist, denn die Bierothek dürfte den meisten mittlerweile etwas sagen.