Produktivität durch Schnappatmung? Die Wim-Hof-Methode im Selbstversuch
„Listen to your body and never force” – beschwört mich Wim Hof, alias ‚Iceman‘ aus der Biohacking-Szene. Im selben Atemzug fordert er mich dazu auf, in die eiskalte Dusche zu steigen und dort mindestens 15 Sekunden zu verweilen. Nicht zwingen und 15 Grad Wassertemperatur geht für mich nicht ganz zusammen. Für Hof und seine große Anhängerschaft sind sie der Schlüssel zum produktiven Leben. Aber wie soll das gehen?
Hof ist der Begründer einer Methode, die sich aus drei Elementen zusammensetzt: Atmung, Meditation und Kälte. Das regelmäßige Durchführen hilft laut dem 26-fachen Weltrekordhalter (den Titel trägt er unter anderem für das längste Eisbad) bei Stressreduktion, stärkt das Immunsystem und macht unser Herz-Kreislaufsystem widerstandsfähiger. Auf kleinerer Ebene soll man sich zumindest wach, fit und voller Energie fühlen. In den letztgenannten Punkten liegt meine Hoffnung – wach, produktiv und ohne Anlaufschwierigkeiten in den Tag starten, das klingt sehr verlockend.
Hof empfiehlt, das Prozedere direkt nach dem Aufstehen durchzuführen. Den Beginn machen Atemübungen, die einer Meditation ähneln, aber sehr schnell ablaufen: 30 Tiefe Atemzüge, beim Ausatmen immer etwas Restluft im Körper behalten. Nach den Wiederholungen hält man die Luft solange wie möglich an. Dann einmal einatmen und sofort wieder die Luft anhalten, dieses Mal aber nur 15 Sekunden. Danach atmet man zum ersten Mal komplett aus. Damit ist Runde eins geschafft, kommen noch drei weitere.
Mehr Adrenalin und weniger Puls?
Im Anschluss kommt die Kälte ins Spiel. Es gilt: ab in die Dusche (für Anfänger wie mich) oder ins Eisbad (für Profis wie Hof). Dass kaltes Wasser dem Körper guttut wissen wir schon seit Kneipp. Hof verbindet die Elemente Kälte und Atmung miteinander, denn theoretisch ergänzen sich die beiden Methoden hinsichtlich ihrer Wirkung, erklärt Hof: Durch die Atemtechnik versorgt man den Körper verstärkt mit Sauerstoff. Das führt zum Anstieg des PH-Werts im Blut, wodurch man den Körper in einen eher basischen Zustand versetzt. Durch die Atmung bewirkt man außerdem, dass der Körper kontrolliert mehr Adrenalin ausschüttet. Und das macht ihn leistungs- und widerstandsfähiger. Damit schafft man sich die Voraussetzung, um den Körper der Kälte auszusetzen. Die Wirkung von Kälte auf den Körper ist auch als kalte Thermogenese bekannt: Die Blutgefäße sind von Muskeln umgeben. Durch die Kälte werden sie stimuliert, was zu einem niedrigeren Puls führt. Das wiederum tut dem Hormon- und Stresslevel gut.
So viel zur Theorie, in der Praxis erscheint mir der Ablauf weniger einladend. Mir graute es so sehr vor diesem Experiment, dass ich es wochenlang vor mir herschob. Denn ich liebe Wärme und Hitze. Die dicke Winterdecke habe ich von Oktober bis Juni im Bett. Ich dusche oft so heiß, dass meine Haut danach noch minutenlang rot ist. Aber los gehts, Ich starte mit den Atemübungen, alles geht viel schneller und heftiger als bei den ruhigen Meditationstechniken, die ich kenne. Aber irgendwie macht es Spaß, es ist einen Tick verrückter. Die Technik holt mich ab, weil ich bei herkömmlicher Meditation manchmal das Gefühl habe, meine Gedanken sind in einer zu hohen Taktung unterwegs, als dass ich sie sofort durch ruhige Atmung runterfahren könnte. Nach Luftanhalten Runde Nummer drei wird mir schummrig und es ist, als ob meine Ohren plötzlich verschlossen wären, ich nehme die Umweltgeräusche nur noch gedämpft wahr. Nach vier abgeschlossenen Runden geht es mit schummrigem Gefühl unters kalte Wasser. Und das ist wie erwartet – viel zu kalt. Ich kann es kaum ertragen und weiß in dem Moment überhaupt nicht, wie ich atmen soll, um meinen Körper zu unterstützen. Als es vorbei ist, kribbeln meine Füße. Ich starte auf jeden Fall wacher als sonst in den Tag.
Weg von der "Bett-Kaffee-Schreibtisch"-Routine
Ob die Wim Hof-Methode mir auf Dauer ein stärkeres Immunsystem und ähnliche Effekte schenkt, mag ich nicht beurteilen. Aber mein Tag startet jedenfalls energetischer als sonst. Gerade weil ich aktuell nur im Home-Office arbeite und Uni auch online stattfindet, hat es sich eingebürgert, dass meine Morgenroutine sich auf fünf Minuten reduziert hat und etwa so abläuft: Bett, Kaffee, Schreibtisch. Dass man sich bei diesem Start in den Tag keinen Energieschub einfängt, liegt irgendwie auf der Hand. Es kann mit Hof also nur besser werden, von daher ab ins Kalte.
Noch mehr Überwindung als die Dusche kostet mich meine Schnapsidee, um 7:30 Uhr in die Regnitz zu springen. Die hat zwar zu diesem Zeitpunkt 16 Grad, was für Hof immer noch 10 Grad zu viel sind, für mich aber eindeutig 10 zu wenig.
Außerdem komme ich mir ziemlich dumm vor, wie ich am Uferrandsitze und im hyperventilierenden Stil Schnappatmung praktiziere. Ein zweites Mal sieht mich die Regnitz übrigens nicht am Morgen, obwohl ich es mir noch an vier weiteren Tagen vorgenommen habe.
Rückblickend muss ich über meine Testphase festhalten, dass ich das Kalte duschen niemals 14 Tage lang durchgezogen, wenn ich nicht angekündigt hätte, darüber schreiben zu wollen. Auf Dauer wird es daher wohl eher nicht mein persönlicher Erfolgsweg zur effizienten Person werden, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es für kälteaffinere Typen leichter in eine Routine zu implementieren ist. Hat man sich überwunden, ist es ein absoluter Kick auf diese Weise in den Tag zu starten. Das liegt nicht nur an der Kälte, sondern auch an den Atemübungen, die einem das Gefühl von einmal Hirn durchpusten geben.