11.10.2022Leben & Arbeiten

Arbeiten im Ausland - Tipps von remote worker Sven Fraede

Arbeiten von unterwegs – im ersten Teil dieser Reihe haben wir euch Tipps für das Arbeiten außerhalb der eigenen vier Wände in Deutschland gegeben, in diesem Artikel dreht sich alles um das Arbeiten im Ausland. Im Folgenden haben wir euch kurz zusammengefasst, was man beim Arbeiten im Ausland beachten muss. Anschließend gibt es für euch einen Erfahrungsbericht von Sven Fraede, der vor über drei Jahren Deutschland verlassen hat und in Brasilien arbeitet.

 

Absprache mit dem/der Arbeitgeber*in:

Arbeiten unter Palmen — für viele Menschen ein Traum. Bevor es ins Ausland geht, sollten Menschen, die sich fürs Homeoffice im Ausland interessieren, das allerdings mit ihrem oder ihrer Arbeitgeber*in absprechen. Diese können dagegen nämlich Einspruch erheben. Am besten plant man zusammen mit seinem oder seiner Arbeitgeber*in, wohin und wie lange man ins Ausland möchte. Stimmt der oder die Chef*in zu, bietet es zusätzliche Sicherheit, die getroffenen Vereinbarungen vertraglich abzusichern. Bei eurer Firma solltet ihr euch auch erkundigen, was es bei dem Thema Versicherung und Steuern zu beachten gibt.

Die Krankenversicherung greift so zwar in den meisten Fällen im EU-Ausland, auf welche Leistungen man Anspruch hat, ist allerdings vom Zielland abhängig. Für das Ausland außerhalb der EU gibt es die Möglichkeit, sich über seine Bank versichern zu lassen.

In Bezug auf Steuern können vor allem bei längeren und dauerhaften Auslandsaufenthalten, in dem Fall, dass man für eine deutsche Firma arbeitet, Probleme auftreten. Beispielsweise gibt es die 183-Tage-Regelung, die besagt, dass man höchstens 183 Tage im Jahr in einem anderen Land arbeiten darf, um in Deutschland steuerpflichtig zu bleiben.

Arbeitsumfeld:

Wenn ihr im Ausland arbeitet, solltet ihr euch überlegen, ob das mit deutschen Uhrzeiten vereinbar ist. In Ländern in denen es ein große Zeitverschiebung im Vergleich zu Deutschland gibt, kann es anstrengend werden, wenn man regelmäßige Telefontermine zu festen Uhrzeiten hat, die nicht mit dem eigenen Biorhythmus vereinbar sind. Bei kürzeren Aufenthalten kann Jetlag außerdem ein nervenaufreibendes Thema sein. Bevor man sich an die Zeitumstellung gewöhnt hat, ist man vielleicht schon wieder zurück aus dem Ausland. Für die meisten Jobs ist auch eine stabile Internetverbindung essenziell, ob Arbeiten an entlegenen Orten möglich ist, sollte vorher abgecheckt werden.

Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen:

Je nach Land und Dauer des Aufenthaltes gibt es unterschiedliche Bestimmungen zu Aufenthaltsbedingungen und Arbeitsgenehmigungen im Ausland. Bevor es losgeht, sollte man sich auch darüber informieren. Neben den deutschen Regulierungen wie der 183-Tage-Regelung, sollten auch die Bestimmungen und Gesetze des Ziellandes beachtet werden.

Um praxisnahe Erfahrungen zum Arbeiten im Ausland zu bekommen, haben wir mit Sven Fraede gesprochen. Auf LinkedIn (verlinken) bloggt er regelmäßig über das remote Arbeiten im Ausland.

Sven erzählt: „Fernweh ist ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit“. In verschiedenen Auslandsaufenthalten sammelte er Erfahrungen zum Arbeiten abroad. Er lebt mittlerweile mit seiner Freundin in Santa Maria, das relativ südlich in Brasilien liegt. Sven arbeitet als Copywriting Freelancer für deutsche Unternehmen. Seine Tipps zum Arbeiten abroad hat er mit uns im Interview geteilt.

 

start.land.flow: Hallo Sven! Zuallererst: Was hättest du gerne gewusst, bevor du zum Arbeiten ins Ausland losgezogen bist? 

Sven Fraede: Ich habe mich vor meinem Umzug nach Brasilien wenig mit den lokalen Bedingungen auseinandergesetzt. Um ehrlich zu sein, fand ich es gut, vorher wenig zu wissen, so hatte ich weniger Erwartungen. Was Probleme anbelangt, so lassen sich die meisten vor Ort lösen. 
Als wichtig empfinde ich aber eine realistische Erwartungshaltung, wenn man sich auf remote work und Einwandern einlässt. Man sollte sich bewusst sein, dass nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist – auch wenn die Social Media Postings vieler remote worker das suggerieren.

start.land.flow: Welche Tipps kannst du in Bezug auf das Leben und Arbeiten im Ausland geben?

Sven: Viele legen bei der Vorstellung von remote work einen falschen Fokus. Es geht in erster Linie nicht darum, vom Pool zu arbeiten und die Tage am Strand zu verbringen – zumindest nicht für mich.

Vielmehr geht es darum, neue Erfahrungen zu machen, die eigenen Perspektiven zu hinterfragen und neue Perspektiven einzunehmen. Dazu gehört für mich der direkte Kontakt zur lokalen Bevölkerung und das Erlernen der Landessprache. Fast alle remote worker gehen in Entwicklungsländer, da die Lebensunterhaltungskosten dort geringer sind. In diesen Ländern begegnet man – außerhalb der „Digital Nomad Bubble'' – oft harten Realitäten und Schicksalen. Auch diese Erfahrungen gehören dazu und sind lehrhaft und einschlagend.

start.land.flow: Was kann man gegen diese harten Realitäten unternehmen?

Sven: Das ist eine schwierige Frage, mit der ich mich in Brasilien viel auseinandersetze. Ich vereine zwei komplett verschiedene Realitäten miteinander: Ein deutsches Einkommen und ein Leben im an vieler Stelle von Armut und Gewalt geprägten Brasilien. Diese Erkenntnis kann hart sein und hält einem die eigenen Privilegien unschön vor Augen. Ich habe oftmals Schuldgefühle und fühle mich machtlos. Das Mindeste, das jeder remote worker machen kann, ist, über die Schicksale mit anderen zu sprechen und als internationales Sprachrohr zu agieren.

Dazu kommt der bewusste Umgang mit Geld. Mit jedem ausgegebenen Euro treffen wir eine Wahl: Für ein Produkt, für eine Person, für Produktionsbedingungen, etc. Als remote worker hat man die Chance, das Geld dort auszugeben, wo es benötigt wird.

start.land.flow: Sind dir beim Arbeiten kulturelle Unterschiede aufgefallen? 

Sven: Der größte Unterschied ist mir nicht in der Arbeit, sondern in den Arbeitsbedingungen aufgefallen – 45 Stunden Regelarbeitszeit, unbezahlte Überstunden, Unterbezahlung und das Arbeiten an Urlaubstagen sind keine Seltenheiten. 
Brasilianer haben außerdem ein anderes Verständnis von Bedürfnissen: Bei Deutschen gibt es ein großes Bedürfnis nach Ruhe und Privatsphäre. Im Co-Working Space in Brasilien ist es schon vorgekommen, dass im Arbeitsbereich Kaffeerunden mit schallender Funk-Musik aus mitgebrachten Musik-Boxen stattfanden. 

start.land.flow: Wie siehts aus mit einem „Kulturschock“, hast du so etwas erlebt? 

Sven: Erstaunlich wenig! Der Süden Brasiliens ist durch deutsche Kolonien geprägt. Am Tag meiner Ankunft war ich sehr überrascht als ich statt Kokosnüssen und Samba-Musik auf Gartenzwerge in Vorgärten, Streuselkuchen und jeder Menge deutsche Nachnamen getroffen bin. Allerdings: Je länger der Aufenthalt im Ausland und je enger der Kontakt zur Landbevölkerung, desto mehr Kulturschocks entstehen. Angefangen von Straßenhunden bis hin zu Rollenvorstellungen in Beziehungen, politischen Glaubenssätzen und dem Umgang mit Umweltschutz und Natur.

start.land.flow: Was braucht man unbedingt zum remote Arbeiten? 

Sven: Auf der materiellen Ebene kann ich Noise Cancelling Headphones empfehlen. Gerade Brasilien ist ein lautes Land, Kopfhörer helfen da beim Arbeiten. 

Mental sollte man Akzeptanz dafür mitbringen, welche Zustände in einem Land herrschen. Als Außenstehende können wir schlecht beurteilen, was gut oder schlecht läuft.

start.land.flow: Wem würdest du das Arbeiten im Ausland empfehlen? 

Sven: Menschen, die Interesse daran haben, neue Erfahrungen zu sammeln und denen persönliches Wachstum wichtig ist. Freiheit und das Bedürfnis, Neues zu sehen und zu lernen, sind Werte, die sich beim Arbeiten im Ausland gut ausleben lassen. Weniger empfehlen würde ich es Leuten, deren oberste Werte Bequemlichkeit, Geld und Karriere sind. Zwar lassen sich Karriere und remote work miteinander vereinen, allerdings schwerer.

start.land.flow: Was ist dein Fazit zum Arbeiten im Ausland? 

Sven: Ich spreche die negativen Seiten davon zwar gerne an, aber ich empfinde es trotzdem als lebensverändernde Möglichkeit und bin ein absoluter Verfechter des Modells. Persönlich bin ich am remote Arbeiten im Ausland sehr gewachsen. 

Glück ist zwar nicht zwangsweise ortsabhängig, neue Umgebungen können aber dazu inspirieren, sich weiterzuentwickeln — auch wenn sie natürlich kein Wundermittel darstellen.

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