12.08.2021Wissenschaft

Kann man Zukunft studieren?

Prof. Dr. Christian Zagel - Studiengangsleiter

„ZukunftsDesign“ – welche Assoziationen ruft das beim Lesen hervor? Ein Hinweis: Masterstudiengang. Aber welche Inhalte werden dort gelehrt? Um Klarheit in die Sache zu bringen, haben wir mit Prof. Dr. Christian Zagel gesprochen. Er ist Studiengangsleiter des besagten Master of Arts „ZukunftsDesign“ der Hochschule Coburg, den man seit März 2017 an den Standorten Coburg und Kronach absolvieren kann.

Über die Rahmenbedingungen, die zur Entstehung des Masters führten, lassen sich Ziel und Inhalt am besten erblicken: Damals belegte der Landkreis Kronach in der Statistik der demografischen Entwicklung des Freistaates Bayern Platz 422 – von 422. Das Problem: Es fehlt an jungen Leuten. Die Bevölkerung wandert ab. Ein Dilemma, dem sich viele ländliche Regionen in Deutschland stellen müssen. Dabei gibt es einige Unternehmen und Hidden Champions vor Ort. Aber die fallen aus vielerlei Gründen oft vom Radar. Dieser Tendenz will ZukunftsDesign etwas entgegenstellen.

Ein kostenloser berufsbegleitender Masterstudiengang mit realen Projekten

Inhaltlich lautet das Grundprinzip von ZukunftsDesign: anhand von realen Projekten unterrichten und damit die Zukunft gestalten. Es gibt generell zwei Quellen, aus denen die Projektideen kommen können, erklärt Zagel: „Einerseits von den Studis selbst, das heißt, die bringen das aus ihrem normalen Job mit, weil es ein berufsbegleitender Studiengang ist. Das ist beispielsweise eine Herausforderung im Unternehmen, mit der sie umgehen müssen. Es kann aber auch eine Idee sein, die aus dem privaten Leben kommt – irgendetwas, das den Leuten unter der Dusche gekommen ist.“ Die zweite Säule für Projektideen stellen die regionalen Unternehmen und Organisationen dar. Zu Beginn eines Semesters pitchen die Studierenden und die Kooperationspartner*innen ihre Projektideen, davon werden einige zur Bearbeitung ausgewählt werden.

Projekte und Problemstellungen aus der realen Welt

Die einzelnen Projektgruppen pro Semester sind zwischen sechs und neun Personen stark und werden von Coaches betreut. Das sind wissenschaftliche Mitarbeiter*innen der Hochschule. Diese fungieren dabei nicht als Projektleitung, sondern nur als Begleitung. Denn für die Studierenden gilt: „Die managen sich selbst, die planen ihr Projekt selbst“, so Zagel. Die Coaches haben beispielsweise die Aufgabe, auf passende Methoden hinzuweisen oder geeignete Expert*innen hinzuzuziehen. Oft dienen sie auch als Sparringspartner zwischen Professoren und Studierenden.

„Man muss auch ganz klar sagen, in einem Semester lässt sich in den seltensten Fällen ein neues Produkt entwickeln oder irgendetwas bis zum Ende treiben,“ diese Vorstellung sei illusorisch, meint Zagel. Deshalb versuche man, innerhalb eines Semesters einen Ergebniszustand zu erreichen, von dem aus man dann gut weiterarbeiten kann.

 

Bessere Selbstvermarktung für Nonnen: Fragen, die sich ihnen niemand stellen traut

Reale Projekte, Teamarbeit, sinnhafte Aufgaben – klingt gut, aber was kann man sich darunter konkret vorstellen? Zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit Nonnen. Die Oberin der Franziskusschwestern Vierzehnheiligen kam damals aktiv auf Zagel zu. Die Problematik der Nonnen fasst er wie folgt zusammen: „Ein riesiges Haus in Vierzehnheiligen, 550 Zimmer, Durchschnittsalter der Damen ist 75 Jahre. Es kommen wenig junge Menschen nach.“ Die Frage für die damals achtköpfige Projektgruppe des Studiengangs lautete daher: Wie können die Franziskusschwestern ihr Haus in Zukunft finanzieren?

Das Ergebnis war ein ganzheitliches Konzept zur besseren Selbstvermarktung. Da die Nonnen eher in sich gekehrt leben, bekommt die Außenwelt auch nicht viele Einblicke in das Leben dort. Dabei ist das erstens interessant und zweitens auch die Voraussetzung dafür, dass sich Menschen für einen solchen Weg entscheiden können.

Die Projektgruppe entwickelte daraufhin unter anderem ein Kartenset, das Fragen an Nonnen richtete, die man sich eher nicht stellen traut. Das geht in die Richtung: Warst du schon verheiratet? Hattest du schon Mal Sex? Die Nonnen nutzen die Karten, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. 

„Wir sind eine Hochschule und kein Beratungsunternehmen“

Wichtig ist – gerade für die Projektpartner*innen – im Kopf zu haben, dass es sich bei der Bearbeitung der Projekte um eine Umsetzung von Studierenden einer Hochschule handelt und nicht die Leistungen eines Beratungsunternehmens. Es kann auch passieren, dass sich gewünschte Projekte nicht umsetzen lassen oder es aus der Sicht der Hochschule keinen Sinn macht. Manchmal unterscheide sich das Ergebnis einer Projektarbeit auch elementar von der ursprünglich präsentierten Idee, so Zagel. Trotzdem zieht der Leiter des Studiengangs das Positive aus solchen Situationen: „Wenn wir es schaffen, Denkanreize zu setzen, neue Ideen und Perspektiven hereinzubringen, dann hilft das eigentlich jedem Unternehmen oder Organisation.“

Studierende aus allen Fachbereichen und jeden Alters sind vertreten

Die einzige formale Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme des berufsbegleitenden Masterstudiengangs ist ein bereits abgeschlossenes Studium. Was aber darüber hinaus verlangt wird, ist ein gewisses Maß an intrinsischer Motivation. Die wenigsten Studierenden von ZukunftsDesign brauchen den Masterstudiengang, um beruflich voranzukommen, es geht in den meisten Fällen um die persönliche Weiterentwicklung. Vorab werden deshalb Gespräche mit allen Interessierten geführt, um klarzustellen, worum es im Studium tatsächlich geht. So können falsche Erwartungen seitens der Bewerber*innen aus dem Weg geschafft werden. Der Studiengang wird finanziert durch das Bayerische Wirtschaftsministerium, als wissenschaftlich gestütztes Regionalentwicklungsprojekt. Damit ist er auch kostenlos – anders als die meisten berufsbegleitenden Studiengänge.

Die Spannbreite der Studierenden ist dabei wahnsinnig groß – vom Bachelorabsolventen bis hin zur praktizierenden Richterin und der Unternehmensleiterin gibt es eine große Vielseitigkeit – ebenso über sämtliche Altersgruppen hinweg. Hier liegt auch Konfliktpotenzial in der Luft, umso wichtiger ist eine funktionierende Teamarbeit. Gleichzeitig bieten sich viele Chancen, denn man wird aus seinem gewohnten Umfeld und seiner üblichen Herangehensweise herausgeholt und muss sich unter Umständen mit bislang völlig fremden Problemstellungen, Themen und Teamkonstellationen auseinandersetzen.

Wer neugierig geworden ist und gleich loslegen möchte, kann sich noch bis zum 15.08.2021 für einen Start des Studiengangs ab Wintersemester 2021/22 bewerben.

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