Gesundheitsversorgung 4.1 – Telemedizin in Oberfranken – Digitalisierung des ländlichen Raumes #5
Auf einen Besuch vor Ort verzichten und stattdessen per Videokonferenz zusammenkommen. So sieht der Alltag für Viele seit der Corona-Pandemie aus, sei es im privaten oder beruflichen Kontext. Doch wie steht es um die Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung? Kann auch hier ein Videoanruf die klassische Sprechstunde bei der Ärztin oder beim Arzt ersetzen? Welche Lösungen sind bereits heute im Einsatz? In diesem Artikel klären wir auf und geben euch Einblick in die Telemedizin Oberfrankens.
Was ist Telemedizin? In der Regel spricht man dann von Telemedizin, wenn medizinische Leistungen über eine räumliche Distanz hinweg angeboten werden. Dabei nutzen Mediziner*innen und Patient*innen digitale Hilfsmittel. Darunter fallen zum Beispiel Apps, Videotechnologie oder Plattformen für Telekonsile, also digitale Treffen von Ärzt*innen zum Austausch über bestimmte Patientenfälle. (Quelle: AOK; Foto: national-cancer-institute)
Ein Gesetz gab den Anstoß
Das Ende 2015 verabschiedete Gesetz über sichere digitale Kommunikation und Gesundheitsanwendungen (Elektronisches Gesundheitsmanagementgesetz) hat den Weg für eine bessere Gesundheitsversorgung in Deutschland geebnet. Dabei geht es auch um das Ziel der flächendeckenden medizinischen Versorgung auf dem Land. Telemedizin kann hier den Patient*innen ermöglichen, über das Internet mit einer Praxis zu kommunizieren und schneller behandelt zu werden. Auch in Oberfranken wird an innovativen Lösungen gearbeitet.
Gesundheitsversorgung in Oberfranken
Bereits 2016 begann Oberfranken Offensiv e.V. mit der Durchführung des vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landentwicklung und Energie geförderten Projektes „Gesellschaft 4.0: Digitales Land – Digitale Kommune“. Das Hauptziel dieses Projekts ist es, die Digitalisierung in ländlichen Räumen Oberfrankens zu nutzen, um die allgemeinmedizinische und hausärztliche Versorgung von Patient*innen, insbesondere in der Pflege, zu verbessern. Damals beteiligten sich bereits 13 Mediziner*innen am Projekt. Anwendung fand es in zwei Modellregionen: der Stadt Wallenfels und dem Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge.
Seit 2019 läuft nun das Folgeprojekt „Gesellschaft 4.1“. Damit soll die digitale Lösung bei weiteren Pflegeeinrichtungen sowie Haus- und Facharzt-Praxen in der Region verbreitet werden. Zudem soll es als Anknüpfungspunkt für weitere telemedizinische Projekte dienen.
Wir von start.land.flow wollten wissen, wie es mit dem Projekt vorangeht und welchen Einfluss Corona auf die Akzeptanz von Videosprechstunden hat. Unsere Fragen stellten wir dem Projektmanager Matthias Fischer von Oberfranken Offensiv e.V.
start.land.flow: Herr Fischer,wie ist der aktuelle Stand des Projektes „Gesellschaft 4.1.“ ?
Matthias Fischer: Momentan sind rund 60 Ärzte und rund 20 Pflegeheime in Betrieb. Ein Teil der Ärzte nutzt das System der Videosprechstunde, um den Individualpatienten zu betreuen. Sprich: Sie oder ich gehen zu unserem Hausarzt und der Hausarzt sagt: „Für unsere nächste Behandlung brauchen sie nicht in die Praxis kommen, das können wir per Videosprechstunde machen“. Der Großteil setzt sich aber nach wie vor dafür ein, dass es Menschen in stationärer oder ambulanter Pflege nutzen können, sodass sich der Hausarzt den Weg zum Patienten sparen kann.
Die Ursprungsidee war: Wir entlasten damit Arzt und Pflegedienste. Nichtsdestotrotz müssen wir dem Gesetz Rechnung tragen, d.h. dass sich der Patient und der Arzt einmal im Quartal sehen müssen, nur dann dürfte man im kassenärztlichen Bereich eine Videosprechstunde machen. Diese ist auch von der Kassenärztlichen Vereinigung zertifiziert. Das war uns allen wichtig, um einerseits den Datenschutz und alle Datenverschlüsselungen sicherzustellen, und andererseits auch, um die Bezahlung möglich zu machen, da Ärzte nur zertifizierte Anwendungen nutzen dürfen. Darüber hinaus machen wir regelmäßig Updates, verbessern, verfeinern.
start.land.flow: Wie wurde die Videosprechstunde von Patient*innen bisher angenommen?
Fischer: Es wir grundsätzlich gut angenommen, weil man sich viel Zeit spart. Nach dem anlogen System war es so: Der Pfleger stellt am Patienten etwas fest, dann schreibt er es sich auf und ruft den Hausarzt an. Erreicht man diesen nicht, zieht es sich oft über Stunden hin, bis die Nachricht den Hausarzt erreicht, er vorbeikommt und es sich anschaut.
Wir haben jetzt eine Art Zwischenschritt gemacht: Wir haben nicht nur die klassische Videosprechstunde, sondern es gibt auch die Möglichkeit, Daten hin und herzuschicken. Also der Pfleger könnte jetzt hergehen und sagen: „Frau Müller ist gestürzt hat blaue Flecken, müssen wir etwas unternehmen oder langt eine Salbe und ein Pflaster?“. Der Arzt kann dann, sobald er Zeit hat, zurückschreiben „Ja, ich schreibe eine Spezialsalbe auf“. Wir haben also die Möglichkeit der zeitversetzten Kommunikation, natürlich verschlüsselt und datenrechtlich abgenommen. Dann hat der Arzt die Möglichkeit entweder zu sagen „ich schreibe zurück und dann ist es erledigt“ oder „ich möchte eine Videosprechstunde machen“.
Von den Pflegern und Ärzten wird diese Möglichkeit gut angenommen, denn sie können eine Meldung schreiben und dann haben sie diese erstmal aus dem Kopf. Man bekommt auch eine Lesebestätigung, also man weiß, der Arzt oder die Sprechstundenhilfe hat es gelesen. Für die Pflegedokumentation ist das sehr hilfreich, denn wenn etwas passiert, ist der Arzt schuld, weil er nicht reagiert hat.
Außerdem kann man auch Bilder, z.B. von einem blauen Fleck, an den Arzt schicken.
So kann Telemedizin ausssehen. Fotos: Oberfranken Offensiv e.V.
start.land.flow: Wie wird die Telemedizin in Oberfranken altersgerecht gestaltet?
Fischer: Da haben wir ja zwei Gruppen. Zum einen die, bei denen ein Familienangehöriger oder ein Pflegedienst dabei ist, die sich auskennen und genau wissen, wo man draufdrücken muss. Zum anderen, nehmen wir mal die 80-jährige Witwe: Sie bekommt vom Arzt einen Link zugeschickt, auf den sie drücken muss, um in den digitalen Warteraum zu gelangen. Soweit unterstellen wir mal, dass es auch ältere Patienten schaffen, auf einen Link zu klicken. Was wir festgestellt haben: Man sollte Senioren nicht unterschätzen: Auch sie schaffen das mit dem Link!
start.land.flow: Wie sieht es mit dem Projekt „Green Bus“ aus?
Fischer: Stellen wir uns mal einen Patienten vor, der im ländlichen Raum im Fichtelgebirge wohnt und mit seinem Hausarzt kommuniziert. Wenn der Hausarzt sagt: „Ich hätte jetzt mal gerne, dass du zu einem Facharzt gehst und das begutachten lässt“, dann könnte dieser Hausarzt bei einem Facharzt in Bayreuth, genau genommen am MVZ des Klinikum Bayreuths, einen Termin buchen. Die stellen dafür ein bestimmtes Zeitfenster und Kontingent zu Verfügung. Gleichzeitig bekommt ein Bus- oder Taxiunternehmen den Auftrag, den Patienten vom Fichtelgebirge ins Klinikum und nach seinem Termin wieder zurück zu transportieren. Somit würde man eine fachärztliche Untersuchung sicherstellen.
Die Idee ist: Aus dieser Anwendung heraus einen Facharzttermin mit einem Klick zu buchen und die Abwicklung zu garantieren. Wir haben also eine digitale Lösung, die nicht nur die Videosprechstunde, sondern auch noch Serviceleistungen bietet. Gerade bereiten wir dies mit dem Klinikum Bayreuth vor. Die haben noch einen weiteren Schritt, der dann auf ganz Oberfranken ausgeht: Man möchte vom Klinikum Bayreuth aus auch mit anderen Kliniken und Fachärzten Telekonsile abhalten, um gemeinsam den Patienten zu beraten, entweder im Rahmen der Videosprechstunde oder sie können untereinander vorher Bilder austauschen oder auch Leidbilder gemeinsam besprechen.
start.land.flow: Und wie wirkt sich Corona auf Ihr Projekt aus?
Fischer: Durch Corona ist die Nachfrage gestiegen, aber nicht nur wegen Corona, sondern auch, weil Ärzte inzwischen eine Videosprechstunde vergütet bekommen, was bisher nicht der Fall war. Insgesamt haben wir festgestellt, dass mit Corona sowohl bei den Patienten als auch bei den Ärzten der Wille zur Telemedizin gestiegen ist. Als wir vor 5 Jahren mit dem Projekt in den Modellregionen angefangen haben, mit Ärzten zu debattieren, waren die Antworten: „Ja, müssen wir mal überlegen“ oder „könnte man mal machen“. Das hat sich jetzt ein bisschen gelegt, und auch das, was viele Ältere gesagt haben: „jetzt wollen sie mir sogar den Arztbesuch wegnehmen“.
Das hat sich ein bisschen gedreht. Jetzt wird häufiger gesagt: „Naja, um meine Blutwerte zu besprechen, muss ich mich nicht unbedingt ins Wartezimmer setzen, das kann ich auch online“. Da hat Corona die Bereitschaft schon ein wenig beschleunigt. Vor zwei Jahren hätte von uns wahrscheinlich keiner gedacht, dass wir heute die Hälfte unseres Tages mit Zoom-Konferenzen o.ä. zubringen werden. So hat sich das auch in der Telemedizin gewandelt. Und auch das Klinikum Bayreuth hat vor ein paar Jahren noch gesagt: „Telemedizin mit anderen Kliniken und Ärzten brauchen wir eigentlich nicht“. Und jetzt sieht es alles ganz anders aus.